Rauschend streicht der Herbstwind durch die
sich beständig auf und nieder beugenden Felder.
Unter der Diktion des Windes wogt in einem
lethargischen, verschlafenen Rythmus und in braunrotgelbverströmten Farben
miteinander verwoben ein Meer von Baumwipfeln des die Felder umbrandenden
Waldes.
An diesem Tag wirkt die Präsenz der Natur
eigentümlich eindringlicher als sonst. Der Eindruck beschleicht mich, ich hätte
auf meinem Weg querfeldein, den Wald ansteuernd, allmählich einen eigenen Raum
und eine fremde Zeit verfließend betreten.
Der Wald nähert sich Schritt für Schritt
meinem Mich, welches zunehmend in Ich-Vergessenheit und Passivität gerät. Mein
Blick wechselt zunächst noch umherschweifend von meinen Schuhspitzen, den sich
seitlich von mir ausbreitenden Feldern bis hin zu dem an Größe gewinnenden,
gegenüberliegenden Wald. Zunehmend jedoch löst sich das Geräusch meiner Tritte
in der Luft auf, das Rascheln der Felder verschwindet hinter dem Horizont; und
mein Blick haftet immer beflissener und fester, als wäre er eingefangen worden,
gerade aus gerichtet an dem, von einem melancholischen, pulsierenden Himmel
umwölbten, frühabendlichen Herbstwald.
Wenn man aufmerksam genug hinsieht, dann
bemerkt man, wie sich unscheinbar, schleichend, in gewissen verschwommenen
Zeitabständen, Blatt um Blatt von ihren Ästen, alswie ein Schimmer von Existenz
um Existenz von ihren Essenzen losstößt und geräuschlos zu Boden gleiten lässt.
Ich spüre wie der Wind meine Fingerspitzen und
mein Genick entlangstreicht.
Zunächst unnahbar und verschleiert, doch nun
zunehmend deutlich beginnt mir der Wind verblassende Wortfetzen zuzuflüstern.
Unvorbereitet und erschrocken über diese unmögliche Stimme im Wind verlangsame
ich meinen Gang, verliere meinen Blick in der Suche nach einer möglichen
Stimmquelle, stehe schließlich verhalten da.
Ich bin alleine, und doch fühle ich in
brechender Intensität, wie sich mir ein uralter Sinn brennend auferlegt.
>> ...Verwerfe
nicht deine träumende Anschauung...<< ...
...so streicht es mir urplötzlich, urflüsternd
durch den Sinn. So inspiriert es vom einen in den anderen Moment reißend meine
unbeholfene, stockend-atmende Seele. Doch so hilflos stehe ich noch da,
>>Ich<< in >>Ichs<< denkend, Weltlichkeit subsumierend,
vorgeformte Wirklichkeiten ableitend und in Vergangenheiten, Gegenwarten und
Zukünften messend. So determiniert von >>Zeit<< und
>>Wahrheit<<. Meine eigene Befangenheit versperrt sich in
verzeitigten Erscheinungen, weltlich positivierten Wirklichkeiten, deren
Ursprung und Eigentümlichkeit in der Geistlosigkeit der Welt liegt. Wir
verschieben in einem endlosen Teufelskreis Bedeutungszuschreibungen auf der
weltlichen Oberfläche der Erscheinungen, deren Gesetzmäßigkeit außerhalb von
ihr liegt. Der Mensch scheint sich letztlich immer aufs Neue lediglich seine materielle
Weltlichkeit nahezulegen. Sich als tiefere, geistige Existenz begreift und
erlebt er nur in Ausnahmefällen oder zufälligen Träumen.
Ich fühle diesen Gedanken nur, begreife ihn
aber weniger als Abbild meines von der Welt distanzierten, erkennenden Ichs,
denn als Zenit der Verschmelzung meines unentwickelten, jedoch sehnsüchtigen Ichs
mit jener schein-entwickelten, ahnungslosen Menschheit. Ich erkenne nur unausgesprochene
Unkenntnis.
Ich setze vorsichtig wieder einen Fuß vor den
nächsten. Der Wind fängt heftiger zu rauschen an und knistert in einem
bebenden, elektrisierenden Geheule.
>>Höre<<
..
.. so schlägt erneut die unmögliche Stimme
verrissen in meinem unmöglichen Herzen ein, alle Wände durchbrechend. Mir, der
ich mich nur Weltlichkeit zu hören können meine, zwängt sich eine Frage auf: Was
höre ich schon außer unentfliehbarer, sinnvermessender Weltlichkeit und
Gesellschaftlichkeit? Und während ich mich dies also frage, wird da meine
vertrocknete und brache Ahnungslosigkeit hemmungslos über- und umschwemmt in
einer geistigen Überflutung, meine in stumpfester Mutlosigkeit zu Staub
zerfallene Ahnungslosigkeit als Ahnung neu erträumt, neu erdacht.
Und doch bleibe ich der, der ich war: Als der,
der immer nur Zeit fühlte und in dieser immer nur als Unwahrheit verfangen
befangen wandelte...
...darum hörte ich auch nie was Verstehen zu
können ich mich so lange anzunähern meinte.
>>Sehe<<
...
...so dringt es durch mein Ohr. Nicht aber
Sprache dringt in mein Herz. Alleine der Blick des Windes bedingt diese
unendliche Integrität des Moments, mir den Inhalt in die Seele stechend.
All die Farben, Kontraste, Realitätsverrisse
um mich herum scheinen zu zerrinnen und in- bzw. auseinanderzufließen. Oder ist
es mein Körper, der schmilzt? Meine Augen beschlagen sich und versuchen durch
benommenes, träges Blinzeln der Ergrauung der Welt umsonst Vorschub zu
leisten.
>>Taste<<
...
...und während mir dieses Wort durch Kopf und
Herz strömt, stellt sich mir zum ersten Mal die Möglichkeit in den Sinn, dass
die Gegenstände, die ich ertaste, sich im selben Moment des Ertastens in
Scheinbarkeit und sinnlicher Endgültigkeit aufspalten. Obwohl der vermeintlich
Offenbarste und Endgültigste aller Sinne, so ist der Tastsinn doch eigentlich
die größte Mystifikation von allen. Ich schmecke, trage, berühre... und ertaste
dabei doch immer nur eine Oberflächenwirkung. Eine Kette von widersprüchlichen,
verrätselten Reaktionen kulminieren in einem ertastbaren endlichen Schein und
ich - manipulierter, versinnlichter Mensch - bezeichne ausschließlich die
allerletzte Wirkung als Wahrheit. Geistig verrohe ich in dieser dogmatisch als
berechen- und bestimmbar erklärten Welt der Oberflächenerscheinungen. In der
Propaganda der reduktionistischen Naturwissenschaften spielten und spielen
Fragen nach dem Zusammenhang von Wesen und Erscheinung nie eine Rolle. Die
Naturwissenschaften die ewig tasten, doch kein einziges Mal gefühlt oder auch
nur einmal annähernd verstanden hätten. Umso mehr ich vor der Welt in die Welt
hinein flüchte, umso tiefer versinke ich in verzerrter Oberflächlichkeit.
Ich betrete nun den Wald. Blätter zu meinen
Füßen. Erst die Felder, nun die mich umgebenden Bäume mit den umhergleitenden,
dem Boden entgegenstreichenden, -wiegenden Blättern ... vorallem aber die Stimme
des Windes ... sie vermitteln mir ein Bild von Prozesshaftigkeit und Unendlichkeit.
Sie mahnen und ermutigen mich keine Angst vor dem Träumen zu haben ... das
Paradoxe in mir zuzulassen, mehr von meinem unwahren wahren Ich zu leben ...
die Wirkung und das Ausmaß des Unverstandenen in ihrer Blüte passieren zu
lassen ... dadurch mehr an mir selbst zu leiden.
Und ich frage mich im selben Moment, in
erneuerter Übereinkunft mit mir selbst: Was habe ich zu verlieren, sollte ich
versuchen, ein wenig wahrhafter, also in träumender Anschauung, zu leben? Dieses
Träumen ist mir allerdings kein Bewusstsein, es ist mehr eine bruchstückhafte,
hauchende Ahnung von Mehr als dem mir bewusst sein kann, einer entfernten,
verschleierten Über-Wirklichkeit.
Ich gebe mich nicht der Illusion hin, Wahrheit
in ihrer Vollständigkeit finden zu können ... aber ich könnte zumindest anfangen
diese sich ständig erneut selbst überschreibende, selbst überwältigende und
überfordernde Weltlichkeit als das zu benennen was sie ist: Unwahr. Und ich
könnte als bewusstes Unwahres weitere Funken von Wahrheit suchen und einsammeln.
Mein Sein füllt sich wieder mit Bewusstsein.
Bewusstsein über mich und diese Welt. Doch die Überzeugung neben Weltlichkeit
auch Wahrheit zu sein, die ich vor kurzem noch so wohlfeil vertrat, erfuhr eine
empfindliche Erschütterung. Was bedeutet Bewusstsein in diesem Zusammenhang
also mehr, als der Eindruck der Existenz einer Innerlichkeit und einer
Äußerlichkeit, deren Zusammenhang verschleiert und mystifiziert wurde.
Bewusstsein, in welchem die innere Wirklichkeit durch äußere, gesellschaftlich
sanktionierte Erscheinungen überdeterminiert wird, und nicht mehr auf sich
selbst gerichtet sein kann, ist notwendig verkehrtes Bewusstsein. Mir
widerstrebt es, doch gerade aufgrund dieser Feststellung muss ich einsehen,
unweigerlich selbst auch Produkt meiner Umgebung, dieser Welt zu sein. Ich
glaubte so viel zu wissen, doch was war davon wirklich Erkenntnis? So ging doch
dieser Schein-Erkenntnis immer ein notwendig verkehrtes Bewusstsein voraus.
So wohlfeil zog ich immerzu den Schluss.
Nun aber zieht er mich.
Und aus dem mich ziehenden Schluss ziehe ich
nun einen neuen Schluss:
Den der Erkenntnis einer träumenden,
sehnsüchtigen Ahnung in mir, die immer nur ausgerichtet auf ein wahres Leben
war und ist. Eine Erkenntnis die nach innen, und nicht mehr nach außen gerichtet
und in Zusammenhang mit meiner subjektiven Anschauung gesetzt ist. Doch diese
Ahnung ist ein kaum auszumachender Impuls tief in mir, und es bedarf viel
aufzuleiden, um ihn herausschlagen zu lassen.
Es bedarf viel des wahnsinnigen, einsamen
Träumens.